Glauben Theologen, was sie lehren?

Biedenkopf (sval). Passen Glaube und Religion noch in unsere Zeit und wie verträgt sich beides mit einer wissenschaftlichen Aufgeklärtheit? Dieser Frage sind die beiden Theologie-Professoren Marcell Saß von der Philipps-Universität Marburg und Gordon Mikoski von der Princeton-University nun in einem Vortrag vor den Schülern der Q2 an der Lahntalschule Biedenkopf nachgegangen. Dieses Spannungsfeld zwischen persönlicher Überzeugung und der Wissenschaftlichkeit der Theologie irritiere die Menschen immer wieder, berichtete Saß aus eigener Erfahrung. Als er 2013 seine Lehrstelle in Marburg angetreten habe, sei er von einer Pharmazie-Professorin gefragt worden, ob er das, was er unterrichte, eigentlich selbst glaube. Bei der Beantwortung dieser Frage orientiert sich Saß an der Lehre des Bonner Philosophie-Professors Markus Gabriel aus dessen Buch „Warum es die Welt nicht gibt“. Darin zeigt Gabriel auf, dass es keine alleingültige Sichtweise der Dinge und Phänomene in der Welt gibt. „Wenn wir zu dritt nach Italien fahren und uns den Vesuv anschauen, wieviel gibt es den Vulkan dann?“, gab Saß ein praktisches Beispiel für die Überlegungen des Philosophen und ließ die Antwort gleich folgen: „Viermal! Einmal in seiner physischen Präsenz und jeweils einmal aus den persönlichen Sichtweisen der drei Reisenden.“ Laut Gabriel gebe es verschiedene Modi, wie ein Individuum der Welt begegne. Es gehe also um verschiedene Deutungsversuche, so Saß. Der Ursprung der Welt werde aus naturwissenschaftlicher Sicht dem Urknall zugeschrieben, während es sich aus religiöser Sicht um einen göttlichen Schöpfungsakt handele. Beides habe seine Berechtigung, denn beide Perspektiven gehörten zum Kanon der Allgemeinbildung. Deswegen werde Religion in Deutschland auch als Schulfach gelehrt. In den USA sehe das ganz anders aus, erklärte Gordon Mikoski. Wie bei uns, gibt es auch dort den Begriff der Religionsfreiheit. Nur meint er dort, dass die Schulen frei von religiösen Überzeugungen gehalten werden. Da hänge damit zusammen, dass es in Amerika nicht nur die beiden großen Glaubensrichtungen Protestanten und Katholiken gebe, sondern eine Vielzahl pluralistischer Formen. Mikoski sprach von über 300 Glaubensrichtungen. Als einen Grund für die strikte Trennung zwischen Kirche und Staat in den USA führte Mikoski auch die große Zahl von rund 30 Prozent religiösen Fundamentalisten im Land an. „Niemand will, dass sie in öffentlichen Schulen etwas zu sagen haben“, betonte er. „Und warum schwören dann Präsidenten, wenn sie ihr Amt antreten, auf die Bibel“, wollte eine Schülerin wissen. Dazu erklärte Mikoski, dass dies weniger ein religiöser Akt sei, als vielmehr die Bekenntnis zu dem Glauben an eine höhere Macht – ganz gleich, wie diese aussehe. „Nur sechs Prozent der Amerikaner glauben nicht an eine höhere Kraft“, erläuterte Mikoski. Von der steigenden Zahl an Kirchenaustritten hierzulande, die eine andere Schülerin ansprach, zeigte sich Marcell Saß wenig überrascht. Auch im Mittelalter seien keineswegs alle Menschen in die Kirche gegangen, erklärte er. „Aber es war üblich, zu der Gemeinschaft zu gehören.“ Diese Bindung an Traditionen sei heute nicht mehr so stark wie früher. Stattdessen überlegten die Menschen, was ihnen die Zugehörigkeit zur Kirche bringe und da entschieden eben viele, dass es sich nicht lohne. Das sei aber nicht nur bei der Kirche der Fall, sondern auch bei vielen Vereinen, Gruppen und Institutionen, erklärte Saß. „Institutionen sind wie die Sterne, von denen uns die Astronomen lehren, dass sie schon erloschen sind“, betonte Saß.