Was haben Mikroorganismen mit Shampoo und Pizza zu tun?

Biedenkopf Schülerinnen und Schüler der Biologie- und Chemie-Oberstufenkurse erleben eine Vorlesung über die Forschung der BASF-Gruppe zu bioabbaubaren Polymeren und stellen beeindruckend durchdachte Fragen.
Als Prof. Dr. Andreas Künkel einen Überblick über die kommenden 1,5 Stunden gibt, ist es in der vollbesetzten Aula mucksmäuschenstill und ca. 120 Schülerinnen und Schüler lauschen konzentriert.

Der ehemalige Lahntalschüler wurde zuvor von Frau Schäfer-Jarosz begrüßt, die auf die spannende Forschung und gleichwohl die damit einhergehende ethische und gesellschaftliche Verantwortung von großen Unternehmen betonte.

Herr Künkel hat in 1988 sein Abitur mit den Leistungskursen Biologie (bei Rolf Götza) und Chemie (bei Anne Fenner) abgelegt, um im Anschluss Mikrobiologie in Marburg zu studieren.

Seit 1999 arbeitet Herr Künkel nun bei der BASF in Ludwigshafen und leitet dort die Forschungsabteilung zu bioabbaubaren Polymeren. Im Kooperation mit Universitäten und weiteren Forschungseinrichtungen werden neue Werkstoffe und Standards entwickelt, die zukünftig althergebrachte Kunststoffprodukte ablösen können. Herr Künkel betont hier Strukturmaterialien wie Folien, Tüten und Verpackungen und die Funktionsmaterialien wie Shampoo und Waschmittel.

Dabei vergleicht er die Biotransformationsprozesse von Kunststoffen durch Mikroorganismen mit der Verstoffwechselung von Pizza im Verdauungsprozess. Der Mensch verwendet Besteck, um die Pizza in kleinere Bestandteile zu zerschneiden, die Mikroorganismen verfügen über einen ganzen Besteckkasten, der verschiedenste Enzyme beinhaltet, um die Makromoleküle in kleine Bruchstücke zu zerlegen. Ein Teil der Moleküle wird zu Kohlenstoffdioxid verstoffwechselt,  ein anderer Teil wird zu Biomasse umgesetzt.

Der Abbau der Polymere lässt sich dabei über die Kohlenstoffdioxid-Produktion direkt (zurück)-verfolgen. So können die Mikroorganismen über 90% der Masse eines Stoffes abbauen. Was mit den restlichen 10 % geschieht, zeigt die 13C-Markierung. Dabei werden etwa 3% aller Kohlenstoffatome eines Polymers radioaktiv markiert. Mit darstellenden Methoden konnten die ForscherInnen um Prof. Dr. Künkel den Weg der Kohlenstoffatome verfolgen und zeigen, dass daraus direkt neue Biomasse – vorallem durch Pilze entsteht.

Bei den Funktionsmaterialien wie Shampoo oder Spülmaschinenreiniger, die hauptsächlich über die Kläranlagen abgebaut werden, verläuft die Analyse im Labor ähnlich. Als Vergleichswert wird der Umsatz einer gegebenen Menge an Glucose verwendet. Deutlich ist in den Diagrammen ein langsamerer bzw. verzögerter Abbau von kleinen bis mittelgroßen Polymer-Molekülen zu sehen. Die Biologie-GK/LK der Q1 haben vielleicht den aktuellen Unterrichtsinhalt (Genregulierung) wiedererkannt!?.

Ziel ist es, sich auch für diese Zusatzstoffe auf vernünftige Standard-Abbauzeiten zu einigen, um diese als bioabbaubar zu klassifizieren. Oftmals werden höhere Standards für die künstlichen Materialien verlangt als für natürliche (z. B. Laubblätter) angenommen werden. Das nimmt den Forschenden dringend benötigten Innovationsraum.

Zu guter Letzt macht Herr Künkel deutlich, dass alle Forschung ohne verlässliche Daten nicht möglich ist. Mit Hilfe von IT-Experten und einer enormen Rechnerkapazität – mit dem Supercomputer  „Quriosity“ Link: https://www.basf.com/global/de/media/news-releases/2017/10/p-17-332.html, – lässt sich die biologische Abbaubarkeit von vielen Substanzkompositionen modellieren und stimmt mit den realen Messwerten erstaunlich gut überein.

Zusammenfassend kann man sagen, dass solche Forschungsteams immer interdisziplinär arbeiten, also Biologen, Chemiker und Informatikspezialisten hier hochwertige Wissenschaft vorantreiben.

Im Anschluss an den Vortrag zeigten die LahntalschülerInnen in Form von absolut hochwertigen Fragen ihr breites Interesse am Thema und auch ihre durchaus kritische Haltung zur Umweltproblematik. Da werden zum Beispiel die Lagerprobleme oder die Kosten von abbaubaren Kunststoffen erfragt. Interessant war auch die Tatsache, dass die nichtabbaubaren Kunststoffe zum Beispiel in Form von Feldfolien in China oder Spanien oftmals nach der Verwendung viel höhere Kosten verursachen. Daraufhin entwickelt sich im Plenum die Idee, ob es nicht Sinn macht, an entsprechenden Mikroorganismen zu forschen, um diesem Umweltproblem zu begegnen.

Auch die Tatsache, dass die Ost- und Gemüsetüten in Österreich kompostierbar sind, lässt unsere Schüler fragend zurück: Warum funktioniert das in Deutschland nicht? Es fehlt uns der entsprechende Pragmatismus und ein bisschen Mut, betont Herr Künkel.

„Lernen Sie, die Fakten praktisch anzuwenden und hinterfragen Sie die Dinge!“ gibt Professor Künkel der Oberstufe noch mit auf den Weg, bevor es zur Pause klingelt.

Kurzweilig, verständlich und informativ war das Fazit vieler Schülerinnen und Schüler.