Weihnachten 2021

Wir sehnen uns nach der heilen Weihnachtswelt ohne Inzidenzen, ohne Spannungen, ohne Anforderungen, wir wollen einfach ausruhen, mit der Familie feiern, aber die Welt lässt uns nicht. Wir müssen alle schlimmen Nachrichten politisch, gesundheitlich und familiär, aktiv ausblenden. Und schon das macht uns Arbeit.

Auch die Geschichte, die wir feiern, ist keine schöne. Eine Frau, die im 9. Monat schwanger ist, und ihr Verlobter müssen wegen einer staatlichen Zwangsanordnung über 100 km mit einem Esel zurücklegen, weil der eine Herrscher sein Finanzsystem perfektionieren will. Natürlich sind die Quartiere überfüllt und sie müssen zwischen den Tieren übernachten und die Frau hat eine Geburt in sehr prekären Umständen.

Dann hat ein anderer Herrscher Konkurrenzfantasien bzgl. des Neugeborenen, richtet ein Massaker unter kleinen Kindern an und zwingt die Familie des Babys zur Flucht. Die Familie kann erst nach jahrelangem Exil zurückkehren. Bilder vom Grenzgebiet zwischen Polen und Belarus kommen einem in den Kopf, wenn man diese Geschichte so liest.

Und diese Geschichte soll Hoffnung geben? Zugegeben, sie bildet die Geschäftsgrundlage des Überlebens des deutschen Einzelhandels. Die Ladenbesitzer und der Onlinehandel haben die umsatzintensivsten Wochen des Jahres hinter sich gebracht. Aber Hoffnung für uns normale Menschen? Kann man sie wirklich in dieser Geschichte finden?

Muss sie nicht wirklich zuerst romantisch zurechtgebogen werden, dass man nur noch das süße Kind in der Krippe sieht und all die widrigen Umstände in den Hintergrund treten?

Was wirklich Anlass zur Hoffnung bei dieser Geschichte gibt, ist, dass es aber auch Menschen gab, die das Besondere in diesem Kind sahen trotz all der Widrigkeiten. In der Geschichte sind es die Hirten und Sterndeuter, also nicht die Mächtigen, die Einfluss haben, sondern diejenigen, die das Gefühl für das Besondere hatten. Sie erkannten: Die Welt ist nicht nur dunkel, obwohl sie manchmal so scheint, sondern da ist eine neue Art Leben, eine neue Energie am Werk; eine Energie, die auch uns heute Kraft gibt, in dieser schwierigen und manchmal unübersichtlichen Welt zu leben und auch noch das Besondere und das Schöne, das Liebevolle und Wohltuende zu erkennen und zu genießen. Die Schwierigkeiten lösen sich nicht in Luft auf, aber unser Blick auf sie wird neu justiert. Wir achten vielleicht mehr auf die kleinen Dinge, die aber unser Leben froh machen: Ein dankbarer, liebevoller Blick, ein nettes Lächeln, ein ehrliches Lob, ein Trost zur rechten Zeit, der entscheidende Schritt aufeinander zu.

Für all das steht dieses Kind, für all das gibt es, so klein wie es ist, die Kraft. Ich wünsche uns, dass wir Weihnachten etwas von dieser Kraft spüren, damit wir die Herausforderungen froh angehen und die Zeichen der Liebe nicht übersehen.

Ein frohes und gesegnetes Weihnachtsfest.

 Ihr/euer

Wolfgang Schilling